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Die Geheimnisse bleiben

Malerei, Collagen und Fotografien von Lutz Bleidorn im Einnehmerhaus Freital.

Der Ausstellungstitel „Spoekenkieker“ ist einer kleinen Collage entlehnt. Das im westfälischen und niederdeutschen Sprachraum verankerte Wort heißt so viel wie „Spuk-Gucker“ oder „Gespensterseher“. Zu früheren Zeiten nannte man Menschen so, denen zugeschrieben wurde, meist unheimliche und Angst machende Dinge vorhersehen zu können. „Spuk-Gucker“ waren oft Personen, die die Natur gut kannten, aber wohl auch ihr gesellschaftliches Umfeld. Heute nennt man mitunter Pessimisten oder Schwarzseher so. Der „Spoekenkieker“ auf Lutz Bleidorns (Jg. 1973) Collage wirkt unerwartet gemütlich und freundlich. Platziert ist er inmitten einer phantasievoll, fast märchenhaft anmutenden Szenerie mit Haus, Baum, zwei Krähen und einem Himmel voller Sterne und Sichelmond. Nur die Zusammenballung über diesem „Spoekenkieker“ irritiert. Sind es Gewitterwolken? Oder ist ein heraufziehendes Unheil gemeint? Gleichwohl wirkt die Arbeit eher heiter, spielerisch, wobei Letzteres auch für die anderen Blätter der im Einnehmerhaus Freital gezeigten Werkgruppe gilt. Dieses Spielerische hat seinen Hintergrund im Auf und Ab von Bleidorns Schaffensprozess, in dessen Zentrum die Malerei steht, die für den Künstler ein oft langwieriger Prozess ist. Im Laufe des Suchens und manchmal Fastverzweifelns – oder einfach auch wegen des ihn nervenden Terpentingeruchs – fing Bleidorn mit dem Collagieren an. Interessant ist: Seine Ölbilder zeigen – mal mehr, mal weniger – ebenfalls eine collagehafte Struktur. Sie resultiert aus dem Farbauftrag per Spachtel – aber nicht nur. Es gibt auch einen inhaltlichen Grund. Bleidorns Landschaften – das ist sein Thema –, geprägt von den Orten seiner Kindheit und Jugend in der Gegend um Rendsburg (Schleswig-Holstein), sind eine Art Sammelpunkt von Traum- und Erinnerungsfetzen sowie aktuellen oder erinnerten Stimmungen, die er malerisch zu einer Bildwirklichkeit vereint. Da trifft man auf ganz Gegenständliches wie den Kirchturm des Dorfes, wo das Haus des Vaters stand, auf Häuser, große Bäume, Schiffe. Diese Realitätsmomente, Sonne, Mond und Sterne eingeschlossen, verbinden sich mit abstrakten, schwer deutbaren Elementen und Farbflächen zu einem malerisch und farblich (auf die Farbkultur sei besonders hingewiesen!) fein verwobenen, mal kühlen, mal freundlichen Ganzen. Manches darin ist deutbar. Als Gesamtheit aber tragen die Bilder ihr Geheimnis, lassen den unerklärbaren Rest, der Kunst zur Kunst macht. Künstlerische „Nahrung“ sind für Lutz Bleidorn nicht nur Erinnerung und Traum, sondern ebenso das Erlebnis realer Natur. Das schlägt sich auch fotografisch nieder, wie die Ausstellung mit schönen Beispielen „romantisch“ wirkender Arbeiten zeigt. Hier richtet Bleidorn sein Augenmerk vor allem auf Lichtstimmungen und Wolkenformationen, was den Fotografien oft eine nahezu spirituelle Ausstrahlung verleiht. Dieses besondere Interesse am Licht spiegelt sich ebenso in der Malerei, wo nicht die Natur, sondern der Künstler selbst die Lichtakzente setzt – mit herbstlichem Leuchten (Der Herbst, 2012) oder einer mitternächtlichen Stimmung (Mitternacht, 2014). Das unmittelbare Naturerleben prägt neben der Fotografie die Zeichnung. Unverzichtbar sind dem Künstler in diesem Zusammenhang die Streifzüge durch die Dresdner Heide, zu deren Ergebnis die im Einnehmerhaus ausgestellte Reihe bemerkenswerter Baumzeichnungen gehört. Es ist eine Abfolge von Baumcharakteren. Betrachtet man sie, spürt man auch hier etwas Unbenennbares. Und auch hier ist der Künstler dem „Romantischen“ nah. Ein solcher Zug prägt ebenfalls seine „Gespenster“. Erinnerungen, frühe Bedrückungen oder auch gedankliche Kinderausflüge in eine Phantasiewelt mögen für diese ebenso eine Rolle spielen wie aktuelle innere Befindlichkeiten und Träume. Was daraus an surreal anmutenden Blättern entsteht, ist von einer enormen Feinheit und Sensibilität. Die Motive scheinen auf dem Blatt zu schweben. Vielleicht gilt für diese Arbeiten ganz besonders ein Satz aus dem Prospekt einer Düsseldorfer Galerie: „Lutz Bleidorns Bilder sind Märchen für Erwachsene.“ Und die müssen ja nicht nur ins Land des Schönen und Erstrebenswerten entführen, sie halten eben auch Bedrohliches, Angstmachendes oder Trauriges bereit. Die Zeichnungen scheinen der Autorin etwas sehr Besonderes im heutigen Kunstgeschehen. Besonders sind ebenso Bleidorns Bilder, um das noch einmal an dieser Stelle zu betonen. Den Maler hatte es 2003 an die Elbe verschlagen. Davor hatte er schon in Hamburg eine Ausbildung zum Illustrationsdesigner absolviert und danach an einer privaten Einrichtung Malerei studiert. In Dresden war, abgesehen vom Studium bei Wolfram Hänsch und Peter Bömmels, die Zeit bei Elke Hopfe, deren Meisterschüler er 2009 zudem wurde, besonders prägend. Wichtige Schritte waren bisher der Ankauf eines Werkes durch den Kunstfonds des Freistaates, das 2011 verliehene Hegenbarth-Stipendium, das mit einer Studioschau in der Städtischen Galerie verbunden ist, sowie die Messeteilnahmen mit der Galerie Döbele, die ihn seit 2011 vertritt. Von Lutz Bleidorn wird weiter zu hören sein. Der Autorin waren seine Bilder schon in der HfBK-Diplomausstellung 2009 aufgefallen.

Lisa Werner-Art, Dresdner Neueste Nachrichten, 9.9.2015
 

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